Freiburger Schriften zur Hydrologie

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Band/volume 10: UHLENBROOK S. (1999):

Untersuchung und Modellierung der Abflußbildung in einem mesoskaligen Einzugsgebiet

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es einerseits, mit tracerhydrologischen Verfahren das Prozeßverständnis der Abflußbildung im Bruggagebiet zu steigern. Dabei sollten die wichtigsten Wasserherkunftsräume charakterisiert und ihre Beteiligung bei der Abflußbildung bei verschiedenen hydrologischen Situationen quantifiziert werden. Andererseits galt es, die Erkenntnisse aus den experimentellen Untersuchungen der Abflußbildung in ein Einzugsgebietsmodell zu integrieren. Dies führte zu der Entwicklung einer besser prozeßorientierten Abflußbildungsroutine. Das neu zu entwickelnde Einzugsgebietsmodell sollte aufbauend auf den durchgeführten experimentellen Arbeiten und den anderen Vorarbeiten im Bruggagebiet angewendet werden. Dabei war zusätzlich eine Bewertung der Modellierungsergebnisse aufgrund weiterer Daten vorzunehmen werden (multiple-response validation).
Das Bruggaeinzugsgebiet ist ein gebirgiges Einzugsgebiet (438 - 1493 m NN) im Südschwarzwald mit einem nivalem Abflußregime. Es ist zu 75 % bewaldet, 22 % werden als (Hoch-)Weiden genutzt. Siedlungsflächen nehmen 3 % der Fläche ein. Der jährliche Gebietsniederschlag beträgt ca. 1750 mm, mit dem werden etwa. 1220 mm Abfluß generiert. Das kristalline Grundgebirge besteht vorwiegend aus Gneisen und Anatexiten; diesem liegen Deckschichten aus Moränen und periglazialen Ablagerungen auf.
Im experimentellen Teil der Arbeit wurden Abflußkomponententrennungen für verschiedene Hochwasserereignisse mit den Tracern 18O, Silikat und Chlorid durchgeführt. Zusätzlich gaben die Konzentrationen der wichtigsten Anionen und Kationen im Abfluß und Quellwassern weitere Informationen über die Abflußbildungsprozesse. Mit den Umweltisotopen 18O und 3H konnten die Verweilzeiten des Wassers in den verschiedenen Herkunftsräumen abgeschätzt und die Anteile der Abflußkomponenten über einen Zeitraum von drei Jahren quantifiziert werden. Insgesamt konnten drei Hauptabflußkomponenten nachgewiesen werden: Direktabfluß wird überwiegend auf Sättigungsflächen, versiegelten Flächen und in Blockschutthalden gebildet. Direktabfluß besteht aus Ereigniswasser (momentanes Niederschlagswasser) und Wasser aus oberflächennahen Schichten. Für kurze Perioden von einigen Stunden kann er bis zu 50 % des Gesamtabflusses betragen, langfristig macht sein Anteil etwas mehr als 10 % aus. Das Wasser aus den Hanggrundwasserspeichern (sogenanntes Fließsystem-2) macht prozentual den größten Anteil mit ca. 70 % aus. Es konnte mit 18O-Messungen eine mittlere Verweilzeit von ca. 2 - 3 Jahren nachgewiesen werden. Als Herkunftsräume werden vorwiegend die periglazialen Deckschichten angesehen. Diese Speicherräume sind über Druckübertragungsmechanismen (Piston-Flow Effekt, Groundwater Ridging) an der Hochwasserbildung beteiligt; sie sind jedoch auch für die Basisabflußbildung von Bedeutung. Das sogenannte Fließsystem-1 entstammt den Hochlagenbereichen und dem kristallinen Kluftgrundwasserleiter und generiert Basisabfluß. Die mittlere Verweilzeit beträgt hier ca. 6 - 9 Jahre, was über 3H- und FCKW-Messungen bestimmt wurde. Über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren trägt es mit etwa 20 % zum Gesamtabfluß bei.
Aufbauend auf den experimentellen Ergebnissen konnten über die Berücksichtigung verschiedener räumlicher Informationen (Geologie, Deckschichtenbeschaffenheit, Topographie und eigene Kartierungen) Zonen mit den gleichen dominanten Abflußbildungsprozessen im Bruggagebiet flächenhaft ausgewiesen werden. Hierfür wurde eine den Gegebenheiten im Bruggaeinzugsgebiet und der Datenlage angepaßte Vorgehensweise angewendet. Das Ergebnis ist eine Raumgliederung mit Teilflächen, für die angenommen werden kann, daß auf ihnen die jeweils gleichen Abflußbildungsprozesse dominieren. Diese Raumgliederung ist die Grundlage für die räumliche Diskretisierung in dem neu entwickelten Einzugsgebietsmodell TAC.
Das semi-distribuierte Einzugsgebietsmodell TAC (tracer aided catchment model) wurde aufbauend auf den experimentellen Untersuchungen zur Abflußbildung entwickelt. Es ist ein konzeptionelles Modell, d.h. komplexe hydrologische Prozesse werden mit relativ einfachen Speicheranalogien wiedergegeben. Die Schneeroutine basiert auf dem Tag-Grad-Verfahren. Die Bodenroutine wurde vom HBV-Modell übernommen. Das Hauptziel der Modellentwicklung war eine verbesserte prozeßorientierte Modellierung der Abflußbildung, deshalb wurden für die Zonen mit den gleichen dominanten Abflußbildungsprozessen spezifische Speicherkonzepte entworfen. Den in TAC modellierten Abflußkomponenten können aufgrund der tracerhydrologischen Untersuchungen Konzentrationen von natürlichen Tracern zugewiesen werden. Somit ist eine Simulation von natürlichen Tracern im Gesamtabfluß möglich. Die Güte der Modellierung von TAC läßt sich dann neben der Abflußsimulation aufgrund der Übereinstimmung von gemessenen und simulierten Tracerkonzentrationen bewerten. Eine Anwendung von TAC in anderen Gebieten ist möglich. Es muß jedoch eine Raumgliederung aufgrund der dominanten Abflußbildungsprozesse in dem jeweiligen Untersuchungsgebiet vorgenommen werden.
Die Anwendung von TAC im Bruggagebiet brachte gute Ergebnisse. Die Wasserhaushaltssimulationen auf Tageswertbasis waren mindestens so gut, wie sie mit den anderen im Bruggagebiet angewendeten konzeptionellen Modellen (TOPMODEL, HBV, PRMS) bewerkstelligt wurden. Eine Validierung des Modells wurde zum einen an einer unabhängigen Periode vorgenommen. Die dabei erzielte Güte der Abflußsimulation entsprach ungefähr der des Kalibrierungszeitraumes. Ergänzend wurde versucht, eine Modellvalidierung an internen Systemzuständen und -flüssen unter Verwendung von zusätzlichen Informationen durchzuführen (multiple-response validation). Dafür wurde die Simulation des Schneedeckenaufbaus und der Schneeschmelze mit Messungen von der DWD-Station auf dem Feldberg (1480 m NN) verglichen. Die generelle Dynamik dieser Prozesse wurde vom Modell gut erfaßt, eine genauere Beurteilung der Schneeroutine im Gesamtgebiet war bei der gegebenen Datenlage nicht möglich. Im weiteren wurde die Abfluß- und Silikatmodellierung der am häufigsten vorkommenden Zone gleicher Abflußbildung (periglaziale Deckschichten) mit den Messungen an einer Quelle verglichen, deren Einzugsgebiet von periglazialen Deckschichten geprägt ist. Die Abflußmessungen der Quelle wurden gut nachempfunden, ebenso die Dynamik der Silikatänderungen während eines Hochwassers. Im weiteren wurden die Modellierungen mit TAC mit Tracermessungen am Gebietsauslaß validiert. Hierfür wurden zum einem die gemessenen und simulierten Konzentrationen des geogenen Tracers Silikat verglichen. Es konnte für einzelne Perioden eine gute Übereinstimmung der Konzentrationen gezeigt werden. Zusätzlich konnte ein Vergleich der simulierten Abflußanteile von TAC mit den mit 18O und 3H bestimmten Abflußanteilen vollzogen werden. Die simulierten und gemessenen Abflußanteile einer Periode von knapp drei Jahren entsprachen einander weitgehend und zeigten jeweils eine Dominanz des Fließsystems-2.
Die erzielten Ergebnisse für die Modellierung des Wasserhaushaltes, der Simulation der verschiedenen hydrologischen Prozesse sowie für die Validierungen der Modellierungen mit unterschiedlichen Daten (Gebietsabfluß, Schneehöhe, Abfluß an einer Quelle, Silikatkonzentrationen und über Umweltisotope bestimmte Abflußanteile) ergeben: Der Modellansatz von TAC mit der zu Grunde liegenden Raumgliederung aufgrund der dominanten Abflußbildungsprozesse und der gewählten Konzeptionalisierung der Abflußbildung und der anderen hydrologischen Prozesse haben sich für eine prozeßorientierte Modellierung im Bruggagebiet als geeignet erwiesen. Das Potential von Tracermethoden für die Einzugsgebietsmodellierung konnte aufgezeigt werden. Einerseits dienen sie zur Entschlüsselung der Abflußbildung auf Einzugsgebietsskala, worauf aufbauend prozeßorientiertere Modellansätze entworfen werden können. Andererseits kann mit Tracermessungen und den aus ihnen abgeleiteten Informationen (z.B. berechnete Abflußkomponenten) ein Modell validiert werden, bzw. es können Modellfehler aufgedeckt werden.

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