Freiburger Schriften zur Hydrologie

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Band/volume 8: MEHLHORN J. (1999):

Tracerhydrologische Ansätze in der Niederschlags-Abfluß-Modellierung

Ziel der Arbeit war es, tracerhydrologisch ermittelte Informationen direkt in der Niederschlags-Abfluß-(N-A)-Modellierung einzubauen. Dabei wurden die tracerhydrologischen Abflußkomponenten und -anteile sowie ihre Verweilzeiten im System Einzugsgebiet verwendet. Diese wurden zusätzlich zum Gesamtabfluß zur Validierung des N-A-Modells PRMS/MMS eingesetzt. Die tracerhydrologisch ermittelten Verweilzeiten der Basisabflußkomponenten wurden zur Modellkalibrierung der Abflußkonzentration der Grundwasserabflußkomponente verwendet. Um die tracerhydrologischen Ergebnisse direkt zur Modellierung nutzen zu können, mußten Veränderungen am bestehenden Modell PRMS/MMS vorgenommen werden.
Die Verbindung zwischen der N-A-Modellierung und den tracerhydrologischen Ergebnissen wurde durch eine dreidimensionale Raumgliederung hergestellt. Diese baut auf einer hydrologischen und einer hydrogeologischen Raumgliederung auf. In der hydrologischen Raumgliederung werden die verteilten Parameter zu Höhe, Hangneigung, Exposition, Niederschlag und Landnutzung aggregiert. Die aggregierten Parameter wurden zur Kalibrierung der oberirdisch ablaufenden Prozesse wie z.B. Schneedeckenaufbau und -abbau verwendet. Die hydrogeologische Raumgliederung wurde auf der Basis der tracerhydrologischen Informationen kombiniert mit einer Rezessionsanalyse abgeleitet. Die hydrogeologische Raumgliederung diente zur Verbesserung der Modellierung der Abflußbildung und -konzentration.
Bei der Durchführung der hydrologischen Raumgliederung wurden drei unterschiedliche Aggregierungstechniken eingesetzt. Die erste Variante orientierte sich an den physiographischen Teileinzugsgebieten. Bei der zweiten Variante wurden im Untersuchungsgebiet in Bezug auf die Parameter Höhe, Hangneigung, Exposition, Niederschlagsverteilung und Landnutzung homogene nichtzusammenhängende Teilflächen ermittelt. Bei der dritten Methode wurden die Parameter nach Rasterflächen aggregiert. Es hat sich gezeigt, daß die Art der hydrologischen Raumgliederung auf das Ergebnis der Abflußmodellierung einen deutlich geringeren Einfluß hatte als die Erfassung des hydrologischen Geschehens durch die Modellstruktur. Ingesamt konnte mit allen drei hydrologischen Raumgliederungen in einer ersten Modellierung, in die die hydrogeologische Raumgliederung noch nicht einging, der Gesamtabfluß des Untersuchungsgebietes gut wiedergegeben werden.
In Kombination mit einer Rezessionanalyse wurde aus den tracerhydrologischen Ergebnissen die hydrogeologische Raumgliederung aufgebaut. Danach sind am Wasserumsatz im Untersuchungsgebiet vier Speicherräume bzw. Abflußkomponenten beteiligt. Die erste Komponente ist der Direktabfluß gebildet auf Sättigungsflächen und auch Makroporenfluß, der in der Untersuchungsperiode durchschnittlich mit 18 % zum Gesamtabfluß beitrug. Die zweite Komponente ist eine schnelle indirekte Komponente aus den oberen Hangschuttdecken des Untersuchungsgebietes. Diese Komponente trägt bei Hochwasser-er-eignissen den überwiegenden Anteil zum Gesamtabfluß bei. Der Abflußanteil dieser Kom-ponente betrug für den Untersuchungszeitraum 45 %. Die dritte und vierte Komponente wurden zusammengefaßt betrachtet. Es handelt sich dabei um den Abfluß aus der unteren Hangschuttdecke sowie den Abfluß aus dem geklüfteten Gneis. Zusammengenommen trugen beide Komponenten mit 37 % zum Abflußgeschehen bei.
Durch die Implementierung eines Mischungsansatzes in das N-A-Modell auf der Grundlage der Tracerhydrologie konnte der Anteil von neuem und altem Wasser am Gesamtabfluß modelliert werden. Dabei stellte das alte Wasser die indirekten Komponenten und das neue Wasser die direkte Komponente aus Sättigungflächen- und Makroporenabfluß dar. Der Vergleich zwischen Modellierung und hydrogeologischer Raumgliederung zeigte eine hohe Übereinstimmung. Der modellierte Direktabflußanteil betrug 16 %. Auch die modellierten indirekten Komponenten stimmten mit der hydrogeologischen Raumgliederung gut überein. Der modellierte indirekte Anteil der oberen Hangschuttdecke betrug 52 % und der Anteil der unteren Hangschuttdecke mit dem Gneisaquifer betrug zusammengenommen 32 %. Anhand der Abflußkomponenten konnte so die Modellierung des Abflußgeschehens nachträglich validiert werden.
In einem zweiten Schritt wurden die tracerhydrologisch ermittelten Verweilzeiten der unteren Hangschuttdecke und des Gneisaquifers zur Kalibrierung des Grundwasserabflusses im Modell verwendet. Ein Vergleich zwischen Wichtungsfunktionen der Tracerhydrologie zur Ermittlung von Verweilzeiten und Übertragungsfunktionen zur Modellierung der Abflußkonzentration hatte gezeigt, daß jeweils die gleichen mathematischen Ansätze verwendet werden. Dies ermöglicht, den Einzellinearspeicher zur Modellierung der Grundwasserabflußkonzentration durch das in der Tracerhydrologie häufig verwendete Dispersionsmodell in PRMS/MMS zu ersetzen. Die mit dem Dispersionsmodell erzielten Resultate zum Wasserhaushalt des Untersuchungsgebietes waren von gleicher Güte wie diejenigen mit dem Einzellinearspeicher.
Bei der Verwendung der tracerhydrologisch ermittelten Verweilzeiten des Wassers in der unteren Hangschuttdecke und dem Gneisaquifer zur Modellkalibrierung mußte das Verhältnis von mobilen zu immobilen Wasser in diesem doppelporösen Speicherraum berücksichtigt werden. Die tracerhydrologische Verweilzeit betrug 920 d. Diese Verweilzeit ist dem mittleren Wasseralter gleichzusetzen. Gleichzeitig hat die Rezessionsanalyse gezeigt, daß das Wasser mit einer mittleren Dynamik von 340 d reagiert. Dieser Unterschied zwischen Wasseralter und Dynamik konnte durch eine Konzeptionalisierung des doppelporösen Speichermediums in der Modellierung berücksichtigt werden. Dadurch wurde es möglich, den Grundwasserabfluß mit einer Dynamik des mobilen Wassers von 340 d zu modellieren, wobei aber das Wasser im Mittel 920 d alt ist, wenn es zum Abfluß gelangt.
Es erwies sich als sinnvoll, konzeptionelle hydrologische Modelle mit tracerhydrologisch ermittelten Informationen zu kalibrieren und validieren. Aufgrund des räumlich integrativen Charakters bieten sich tracerhydrologisch ermittelte Ergebnisse sogar in besondere Weise zur Validierung und Kalibrierung von konzeptionellen N-A-Modellen an. Aus diesem Grund sollte die Tracerhydrologie verstärkt in der N-A-Modellierung Berücksichtigung finden.

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